Sachsens Justizministerin Katja Meier: „Haftstrafe ist kein Ponyhof“

In Sachsen wurden weitere Einrichtungen für den Strafvollzug in freien Formen eingerichtet. Ob demnächst auch Mörderinnen nicht mehr hinter Gittern sitzen werden und was die Ziele sind, beantwortet Justizministerin Katja Meier.

Frau Meier, warum wollen Sie so viele Häftlinge aus dem Gefängnis holen und stattdessen in freien Formen des Vollzugs unterbringen?

Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Vollzug in freien Formen ausgebaut wird und insbesondere Angebote für Frauen und erwachsene Männer zu schaffen sind. Das ist mit der Eröffnung des „Pier 36“ in Dresden 2021 und mit „Halbe Treppe“ in Mohorn 2023 geschehen. Das bestehende Gesetz wurde 2019 entsprechend erweitert.

Da ist Sachsen an vielen Stellen Vorreiter in Deutschland. Neben der Strafe geht es in dieser Zeit des Vollzugs auch um Resozialisierung und darum, die Menschen wieder für ein strukturiertes Leben ohne Straftaten zu befähigen. Es geht auch darum, wie man Schaden wiedergutmachen kann, der durch die kriminelle Tat verursacht wurde oder anzuerkennen und zu bearbeiten, was man anderen Menschen möglicherweise für Leid angetan hat.

In Mohorn leben die Strafgefangenen auf einem ganz normalen früheren Bauernhof. Ist das noch Strafe?

Haftstrafe ist kein Ponyhof auch nicht beim Vollzug in freien Formen. Die Strafgefangenen können dort nicht machen, was sie wollen. Wie im Gefängnis auch, dürfen die Gefangenen das Gelände nicht einfach verlassen, außer sie haben Ausgang. In Mohorn werden die Gefangenen ebenso wie im herkömmlichen Gefängnis frühmorgens geweckt und sie haben einen strukturierten Tagesablauf.

Die Insassinnen dort müssen Bildungs- und Therapieangebote wahrnehmen. Im Gefängnis könnten sie das sogar ablehnen. Zudem müssen alle erst mal ihre Haftstrafe in der JVA antreten. Über eine Verlegung in den Vollzug in freien Formen wird erst später entschieden.

Ist ein weiterer Ausbau des Vollzugs in freien Formen geplant? Für wie viel Prozent der Gefangenen halten Sie das für hilfreich?

Aktuell verbüßen in Sachsen etwa 2.200 Strafgefangene ihre Haft und es gibt insgesamt 21 Plätze für Vollzug in freien Formen für Frauen, Männer und Jugendliche. Das ist immer noch ein ganz geringer Teil, der diese Chance bekommt. Grundsätzliche Voraussetzung für eine solche Unterbringung ist, dass die Eignungsprüfung ergeben hat, dass sich die Gefangenen nicht dem Vollzug entziehen werden oder diesen Freiraum missbrauchen, um weitere Straftaten zu begehen.

Die Gefangenen müssen zustimmen, im Vollzug in freien Formen untergebracht zu werden. Verstoßen sie gegen Regeln, wird die Unterbringung in Mohorn beendet. Ein genereller Ausschluss von bestimmten Gefangenengruppen erfolgt nicht.

Dann könnten sogar Mörderinnen in Mohorn untergebracht werden?

Bislang sind das die einzigen drei Plätze in freien Formen des Vollzugs für erwachsene Frauen in ganz Deutschland. In Fallkonferenzen wird jeder Einzelfall besprochen. Klar geregelt ist aber, dass in Mohorn keine Gefangenen aufgenommen werden, die wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder schwerster Gewaltstraftaten verurteilt wurden.

An Stammtischen werden eher härtere Strafen gefordert, als Vollzug in freien Formen. Was sagen Sie diesen Kritikern?

Man bekommt schnell Applaus, wenn es beispielsweise heißt: Alle wegsperren und nie wieder rauslassen! Aber Erstens sind wir ein freiheitlicher Rechtsstaat. Und Zweitens ist das nicht vom Ende gedacht. Strafgefangene leben in aller Regel wieder unter uns, wenn sie ihre Strafe verbüßt haben. Gefangene haben schlicht keine Lobby. Dabei gehen die Fragen, wie wir mit diesen Menschen umgehen und welche Chancen wir ihnen geben, uns alle an. In Skandinavien gibt es eine ganz andere Haltung dazu und die Kriminalitätsrate ist dort niedriger.

Ist denn gesichert, dass die Resozialisierung der Strafgefangenen nach dem Vollzug in freien Formen besser gelingt als nach dem herkömmlichen geschlossenen Vollzug?

Für Jugendliche gibt es auch in anderen Bundesländern Erfahrungen mit Vollzug in freien Formen. Wissenschaftlich bewertet ist das in Sachsen bislang nicht. Dazu haben wir als Justizministerium jetzt eine Ausschreibung zur Evaluierung veröffentlicht. Wir wollen die Projekte extern von einer Forschungseinrichtung untersuchen lassen und gegebenenfalls Konzepte anpassen.

Woran wird der Erfolg gemessen? An der Rückfallquote?

In Gefängnissen gibt es auf engem Raum sehr viele kriminelle Menschen. Es ist bekannt, dass dort auch kriminelle Karrieren verfestigt werden können. Deshalb sind kleine Einrichtungen mit vielen sozialpädagogischen Hilfen besser. Der Schlüssel ist, dass wir uns beim Vollzug in freien Formen individuell die Personen anschauen und nach den Ursachen suchen, weswegen jemand straffällig geworden ist und Möglichkeiten finden, den angerichteten Schaden im besten Falle auch wieder gut zu machen, die Tat aufzuarbeiten.

Mir ist außerdem wichtig, dass auch die Familien der Gefangenen eingebunden sind, wenn auf beiden Seiten der Wunsch besteht. Im Vollzug in freien Formen ist es ein großes Anliegen, hier wieder Verbindungen herzustellen, insbesondere wenn es Kinder gibt.

Aber das muss sich ein Bundesland auch leisten können …

Im Vollzug in freien Formen gibt es einen höheren Personalbedarf in der Betreuung. Dagegen wird aber viel weniger Geld für bauliche Maßnahmen und Sicherheitstechnik benötigt als im Gefängnis. Unterm Strich sind die Kosten von 300 Euro je Hafttag im Vollzug in freien Formen zwar etwas höher als in Gefängnissen. Längerfristig wird sich das für die Volkswirtschaft aber auszahlen, weil hier die Resozialisierung besser gelingt.